Hannover, Deutschland | Dry Gin | 46% Vol | ~36 Euro / 0,5 l |
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Hannover, die wohl langweiligste Stadt Deutschlands, so zumindest mein Empfinden. Ich bin in der Nähe aufgewachsen und so richtig gefunkt hat es bei uns eigentlich nie, außer vielleicht beim Zoobesuch in der Grundschule. Als ich durch Zufall auf Behance.net auf Niemand-Gin gestoßen bin, war ich sofort neugierig. Gin, in so einer Flasche, aus dieser Stadt? Hat Hannover nun doch endlich etwas Spannendes hervorgebracht (neben ein paar Bands)? Das Interesse war also sofort geweckt, diesmal eher Dank der Herkunftsstadt, aber irgendeinen Grund muss es ja immer geben.
„Unseren Niemand Dry Gin destillieren wir in einer kleinen Destille in Hannover. Der typische London Dry Gin besticht mit einer frischen floralen Note, herbeigeführt durch die 3 elementaren Botanicals Lavendel, Sandelholz und Rosmarin. Feine Noten von Apfel, Ingwer, Zimt, Koriander, Vanille, Pinienkerne, Wacholder runden unseren Niemand ab.“
Niemand ist rosa. Wir haben wirklich lange über die Flasche diskutiert und sind zu keinem klaren Ergebnis gekommen: wahrscheinlich macht genau das die Flasche aus. Es ist einfach keine typische Ginflasche. Das schlichte Zusammenspiel von Flaschenform, klarer Typografie und übersichtlicher Gestaltung funktioniert sehr gut, genau wie der hohe Kontrast vom leichten, transparenten Rosa und dem deckenden Schwarz. Die handschriftliche „Batch No“ unterstreicht ganz wunderbar die „handcrafted“-/“small batch“-Note. Das gesamte Design schafft den Spagat zwischen Moderne und Wundertinktur aus dem Wilden Westen bzw. alte Apotheken-Flaschen.
Nur die Haptik der Materialien, speziell das leichte Glas und der Plastikdeckel, wirken leider etwas dürftig. Gerade im Zusammenspiel mit den schwarzen Zierelementen könnte man so auch schnell an ein Badezimmerprodukt (wie z.b. Badezusatz) denken.
Ich kann mir gut vorstellen, dass einige Leute von der Flasche abgeschreckt werden, aber ich finde es gut, dass sich Niemand visuell abseits der gewohnten Pfade bewegt.
Der Gin könnte fast als Parfüm oder Duftkerze durchgehen, so fein und leicht ist er in der Nase. Wacholder, Lavendel, Rosmarin und Sandelholz sind sofort wahrnehmbar, ohne unangenehm penetrant zu sein. Niemand gibt sich hier sehr facettenreich und klar abgestimmt, jedoch verfliegt der Geruch auch sehr schnell wieder.
Pur ist er für mich zu scharf, gerade in Verbindung mit den sehr leichten, blumigen Noten, fällt es schwer, den Geschmack richtig zu greifen. Es passiert jede Menge, jedoch ist es schwer, einzelne Noten zu erkennen. Unverdünnt schmeckt er auch ein bisschen so so, wie ein Erkältungsbad riecht. Einige aus der Runde waren aber auch von dem Geschmack hin und weg. Für mich ansonsten kein Gin, den ich pur empfehlen würde.
Nach der kleinen Enttäuschung waren wir noch viel gespannter auf den Geschmack als Gin Tonic. Empfohlen wird der Niemand hier mit einer Scheibe Apfel und einem Zweig Rosmarin, um die eigenen Botanicals noch extra zu betonen. Zusammen mit Thomas Henry Tonic ergab das Rezept am Ende auch einen wirklich guten Drink. Noch mal Glück gehabt. Das Ergebnis würde ich nicht als klassischen Gin Tonic bezeichnen, dafür sind zu viele untypische Noten präsent, Wacholder kommt hier zum Beispiel kaum durch. Ähnlich wie beim Geruch dreht sich alles um Lavendel, Rosmarin und Sandelholz. Es ist eine ganz spezielle herbe, aber dennoch frische, warme Mischung, die sofort den ganzen Mund ausfüllt. Egal, was man davor getrunken oder gegessen hat, Niemand übernimmt die komplette Wahrnehmung und erweckt sofort Erinnerungen an einen sommerlichen Spaziergang durch einen Nadelwald. Man sollte es aber einfach mal selbst probieren. Persönlich würde ich übrigens den Rosmarin aus dem Drink lassen, da dieser so schon sehr präsent im Gin ist und eher die Süße bzw. Säure des Apfels gut tut.
Wie erwähnt, er ist sehr speziell und kein Getränk für einen ganzen Abend, sondern für einen bestimmten Moment, an dem man sich einfach nur entspannen möchte. Man muss Lust auf das haben, was Niemand bietet, ansonsten wird er nicht gefallen.
Wenn man Sandelholz, Rosmarin oder Spaziergänge im Nadelwald nicht mag, dann wird man wahrscheinlich auch kein Freund von Niemand. Alle anderen sollten den Gin probieren. Wenn man sich auf ihn einlassen kann, wird man mit einem interessanten und eigenen Getränk belohnt, dass den Gin Tonic einmal anders präsentiert. Jedoch muss ich auch sagen, dass es bei den meisten von uns an dem Abend bei einem Niemand-Tonic geblieben ist, da die verschiedenen Noten doch schnell zu viel sind, ähnlich wie mit einem sehr torfigen Whisky. Es ist super lecker, aber am Besten in Maßen. Auf jeden Fall kein Gin mit Kompromissen, sondern er geht einfach seinen Weg (durch den Wald), auf dem sich viele bestimmt wohl fühlen, der für einige aber auch der falsche sein wird.
So oder so ist es sehr beeindruckend, was man mit der, doch geringen, Anzahl von zehn Botanicals alles schaffen kann. Meiner Meinung nach mit das charakterstärkste Produkt, was Hannover zu bieten hat.
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